IFB-Dialog: "Es wird keine Zauberpille gegen Adipositas geben"
Über 200 Besucher folgten der Diskussion des jährlichen IFB Dialogs, durch den die bekannte TV-Moderatorin Dr. Franziska Rubin führte.
Krankhaftes Übergewicht ist nicht allein das Resultat aus übermäßiger Lust am Essen und mangelnder Bewegung. Dass diese Schlussfolgerung zu einfach wäre, gilt in der Forschung seit einiger Zeit als gesichert. Wie kommt es also, dass inzwischen die Hälfte der Deutschen übergewichtig und etwa 20 Prozent bereits fettleibig (adipös) sind? Ist Übergewicht Schuld oder Schicksal? Dieser Frage widmete sich vergangene Woche die Veranstaltung „Gene, Hormone, Psyche – Wie stark ist Übergewicht vorbestimmt?“ des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen in Leipzig. Über 200 Besucher folgten der Diskussion des jährlichen IFB Dialogs, durch den die bekannte TV-Moderatorin Dr. Franziska Rubin führte.
„Adipositas ist nicht die Schuld des Einzelnen allein“, erklärte Prof. Michael Stumvoll, der wissenschaftliche Leiter des IFB. Auch die Lebensumstände und die Evolution des Homo sapiens erklären die Zunahme von Adipositas. So ist im Laufe der Menschwerdung die Hirnmasse stetig gewachsen und verbraucht vermehrt Kalorien. Gleichzeitig hat aber der Mensch aufgrund seiner gestiegenen Intelligenz die Beschaffung von Nahrung so stark vereinfacht, dass er dafür kaum noch Kalorien verbrennt. An die Stelle von Sammeln, Jagen oder Anbau trat das Schlaraffenland der Supermärkte und Schnell-Imbisse. Darüber hinaus zeigten weltweite Befragungen, dass Länder mit ausreichend Nahrung auch die glücklichere Bevölkerung aufweisen. Das Streben nach Glück heißt also auch nach Kalorien – gerne nach mehr als man eigentlich braucht.
„Erschwerend kommt noch hinzu, dass die genetische Ausstattung des Menschen die Energiespeicherung begünstigt. Das hat sich im Vergleich zu den Umweltbedingungen nicht verändert“, so Prof. Antje Körner vom Universitätsklinikum für Kinder- und Jugendmedizin. Die optimierte Kalorienverwertung schützt die Menschen zwar bei Hungersnöten, lässt ihn aber im Überfluss dick werden. Studien zeigen, dass das Körpergewicht zu 40 bis 80 Prozent genetisch bedingt ist und eine Reihe von Genen Einfluss haben. „Das eine Dickmach-Gen gibt es allerdings nicht“, so Körner.
Viele Menschen glauben, dass Hormone mitverantwortlich sind für zu viele Pfunde. „Allerdings ist weniger als einer von 100 übergewichtigen Menschen drüsenkrank“, weiß Prof. Mathias Faßhauer aus seiner täglichen Arbeit mit Patienten in der IFB AdipositasAmbulanz. Störungen der Hormonproduktion z.B. der Schild- oder Bauchspeicheldrüse sind außerdem gut behandelbar. Hormone gezielt zum Abnehmen zu nutzen sei hingegen schwierig, denn hormonelle Abnehmpillen hatten so viele negative Nebenwirkungen, dass sie vom Markt genommen werden mussten. Andere Medikamente wiederum begünstigen Gewichtszunahmen, wie z.B. bestimmte Mittel gegen Depressionen.
Dass Essen und Glück in Zusammenhang stehen, weiß die Neurowissenschaft bereits seit einiger Zeit. Doch erst jüngst konnten die Forscher um Prof. Arno Villringer vom Max-Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften zeigen, dass das Gehirn von Übergewichtigen anders aussieht als das von Normalgewichtigen. Es weist ähnliche Veränderungen auf wie das Gehirn von Suchtkranken. Adipöse müssen deshalb auch mehr essen als Normalgewichtige, um das gleiche Glücks- und Belohnungsgefühl zu empfinden. „Adipositas ist also eine Form der Sucht und so müssen wir sie auch behandeln“, erklärte Villringer.
Darüber hinaus konnte Villringer auch zwischen Männern und Frauen Unterschiede hinsichtlich der beobachteten Veränderungen im Gehirn feststellen. So sind beispielsweise bei Frauen nicht nur die Belohnungsgebiete des Gehirns verändert, sondern auch Areale, die mit dem Lernen von Gewohnheiten zu tun haben. Außerdem ist das Risiko an Demenz zu erkranken bei adipösen Männern erhöht und bei Frauen sogar mehr als verdoppelt. Warum dies so ist, ist bislang noch nicht vollständig geklärt. Entscheidend sind die bisherigen Erkenntnisse aber dennoch, da daraus eine geschlechterspezifische Behandlung von Adipositas abgeleitet werden kann.
Und schließlich hat neben Genen, Hormonen und Gehirn auch die Psyche Einfluss auf das menschliche Essverhalten. „Die Psyche isst mit“, sagt Prof. Anette Kersting, Direktorin der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig. Gefühle sind beim Essen häufig mit von der Partie - das zeigen Ausdrücke wie „Kummerspeck“ oder „Frustessen“. Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Ängste oder posttraumatische Belastungen können zu Übergewicht führen, wenn die Betroffenen sich zurückziehen, sich wenig bewegen und Essen ein Mittel wird, um Stimmungen zu beeinflussen.
„Arzt und Patient allein sind oft machtlos. Wir müssen anfangen gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu verändern. Das heißt, wir müssen gegen die aktuellen dick-machenden Gegebenheiten denken und handeln“, so Stummvoll. Gegen die verführerische Werbung etwa, um nicht in die Kalorienfalle zu tappen. Faßhauer betont außerdem, dass der Weg, Kilos zu verlieren, immer mit dem Betroffenen individuell gefunden werden muss. Rigide Diäten und Sportprogramme bringen nichts, da man sie nicht langfristig durchhält.
Die Kernbotschaft war also: Adipositas kann ein Stück weit vorbestimmt sein durch psychische, genetische oder hormonelle Störungen. Ausgeliefert ist man diesem Umstand aber nicht. Mit Verhaltensänderungen lässt sich den aktuellen Rahmenbedingungen, die Übergewicht und Fettleibigkeit begünstigen, gegensteuern. „Wir müssen weg von der Illusion, dass es eine Zauberpille gegen Adipositas geben wird“, so Prof. Michael Stumvoll. Verschiedene und individualisierte Therapien werden zukünftig Antwort geben müssen auf die vielfältigen Ursachen der Adipositas.
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